Bericht über das Modul "Einführung in die Theologie der Psalmen"

(September 2018 in Mariendonk)

von Fr. Patrick Hartlieb OSB/ Plankstetten

Vom 10. bis 14. September 2018 trafen sich von insgesamt vierzehn unterschiedlichen Klöstern Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland, der Schweiz und Italien zur Gemeinsamen Noviziatsausbildung der VBD in der Benediktinerinnenabtei Mariendonk am Niederrhein. Erfreulich zu begrüßen war, dass so manch „neues Gesicht“, den Weg nach Mariendonk gefunden hatte. Somit ist zu sehen, dass die Teilnehmerzahl wächst und uns das Gefühl vermittelt, in der Ordenswelt „tut sich etwas“.
Grundwissen der Psalmen

Unsere Referentin Frau Sr. Dr. Justina C. Metzdorf OSB aus der Abtei Mariendonk führte uns durch das Thema der Psalmen. Sie fing an mit der Aufforderung aus dem Brief an die Epheser: Wir sind zum Lobpreis seiner Herrlichkeit bestimmt, wir, die wir schon zuvor unsere Hoffnung auf Christus gesetzt haben (Neue Einheitsübersetzung). Der Gläubige wird mit dem Pauluszitat dazu aufgerufen mit dem Lobpreis, sprich anhand des Psalters Gott zu loben und zu danken. Der Mensch gibt dadurch Antwort auf das Handeln Gottes an den Menschen, das er sich vorher erhofft hatte und IHM immer wieder sein Vertrauen und seine Hoffnung schenken. Interessanterweise kennt die hebräische Sprache für „Loben“ und „Danken“ nur ein gemeinsames Wort. Gott loben und ihm danken geschieht durch das Erzählen seiner Taten.

Die Überlieferung und Übersetzung der Psalmen kennt zwei Traditionen: die griechische Tradition der Septuaginta (LXX) und die hebräische Tradition des masoretischen Textes (MT).
In der griechischen Tradition entstand in der Übersetzung der griechischen Koine* ab ca. 250 v. Chr. und war bis ca. 100 n. Chr. abgeschlossen. Zum Corpus der Heiligen Schrift gehören nicht nur hebräische Texte sondern auch original griechischsprachige Schriften wie Zusätze zu Ester und Daniel, die Bücher Tobit, Judith, 1 und 2 Makkabäer, Jesus Sirach, Weisheit, Baruch, der Brief Jeremias, (deuterokanonisch:) 1 und 2 Esra, (apokryphisch:) 3 und 4 Makkabäer, 3 Esra. Es gibt ca. 2000 Handschriften, die ältesten stammen von ca. 200 v. Chr.; die älteste vollständige Hs ist der Codex Vaticanus aus dem 4. Jhd.
* allgemein gesprochene Sprache (das Griechisch im Mittelmeerraum) vereinfachter Wortschatz (Septuaginta – Neues Testament)
In der hebräischen Tradition zwischen 700 und 1000 n. Chr. vokalisierten jüdische Schriftgelehrte (Masoreten) den hebräischen Konsonantentext, der seit Mitte des 2. Jhd. n. Chr. fixiert wurde (Rabbi Akiba). Die Vokalisierung der hebräischen Sprache machte für uns Menschen heutiger Zeit, überhaupt erst möglich, die hebräische Sprache zu übersetzen. Die Masoreten besaßen am See Genezareth, in Tiberias eine Masoretenschule. Überreste davon sind leider nicht mehr vorhanden. Die älteste vollständige Handschrift ist der Codex Leningradensis aus dem Jahr 1008; der noch ältere Codex Aleppo (920) wurde im Jahr 1947 stark beschädigt.

Zu den bedeuteten Textfunden gehören die Funde in Qumran (3. u. 2. Jhd. v. Chr.). Die Schriften weisen in weiten Teilen eine größere Nähe zu LXX als zu MT auf. Zu den Qumran-Psalmen gehören Ps 151 (LXX) sowie Ps 154 und 155 (syrische Peschitta).

Die beiden Sprachtraditionen unterscheiden sich noch in ihrer Zählweise. Somit kommen beide Überlieferungen auf eine jeweils andere Anordnung des Psalters. Bei der Septuaginta (LXX) besteht sogar ein Psalm 151, der sich aber außerhalb der Zählung befindet.
Aufbau und Struktur des Psalters

Die meisten Psalmen der hebräischen und griechischen Überlieferung tragen Überschriften. Diese können als redaktionelle, spätere Zusätze; können Aufschluss über die theologische Grundidee und den Leitgedanken wiedergeben. Die Überschriften enthalten: (kurze) Verfasserangaben bzw. eine Widmung, musikalische Angaben, längere Situationsbeschreibungen. Außer den beiden ersten Psalmen enthalten nur wenige keine Überschrift. Psalmen, die keinen Verfasser nennen, tragen als Titel „Wallfahrtslied“, „Psalmenlied“ oder „Halleluja“.

Psalmengruppen

Die Psalmen lassen sich in verschiedene Gruppen zusammenfassen:
• nach den Verfasserangaben:
-David-Psalmen
-Asaf-Psalmen
-Korachpsalmen

 

• nach bestimmten inhaltlichen Merkmalen:
-Elohistischer Psalter (MT 42-89): Statt des Gottesnamens JHWH wird elohim verwendet.
-Hallel-Gruppen:

-Ägyptisches Hallel/Pesach-Hallel (Ps 113-118 MT) (Hausliturgie der Juden)
-Großes Hallel (Ps 136 MT)
-Kleines Hallel (Ps 146-150 MT)

Die Einteilung in fünf Bücher

Durch bestimmte Schlussdoxologien werden die Psalmen deutlich in fünf Teile gegliedert. Mit dieser äußeren Struktur korrespondiert eine innere.

Der Midrasch Tehillim (3. – 9. Jhd.) versteht den Psalter als Analogie zur Tora:
„Mose gab den Israeliten die fünf Bücher der Tora, David gab den Israeliten die fünf Bücher der Psalmen.“
Bereits die Kirchenväter setzten sich mit der Frage auseinander, welches theologische Konzept hinter der Anordnung der Psalmen stehe. Origenes (gest. 254) erkennt nicht nur die Doxologien als Gliederungsprinzip, sondern hält daran fest, dass die Reihenfolge der Psalmen keine chronologische ist (vgl. com. Psalm., PG 12, 1073). Gregor v. Nyssa (gest. nach 394) erkennt in der Anordnung der Psalmen einen Aufstieg des Menschen zu Gott, der in fünf Stufen erfolgt.

Der Psalter in Analogie zu den fünf Büchern Mose
Die 150 Psalmen stehen in Analogie zu den fünf Büchern des Mose. Im ersten Buch (Genesis) befinden sich Lieder Davids, des „Patriarchen“ der Psalmen. Folgend im zweiten Buch geht es darum die Zeit der Knechtschaft des Volkes Israel bzw. Israel im Exil. Im dritten Buch finden wir Lieder der Leviten, die während des babylonischen Exils um das zerstörte Heiligtum trauern. Das vierte Buch gibt durch den Propheten Mose, der dem Volk die Hoffnung auf Heimkehr gibt. Im fünften Buch folgt schließlich die Heimkehr aus dem Exil und der Hinaufzug bzw. die Erfüllung nach Jerusalem.

Gattungen der Psalmen

Die Psalmen werden in der Gattungsforschung in verschiedene Psalmengattungen differenziert und in zahlreiche Ober- und Untergattungen aufgefächert. Zu den wichtigsten Gattungen gehören: die Klagepsalmen in Form vom Volk oder als Einzelner. Zweidrittel der 150 Psalmen sind Klagelieder, Bittpsalmen, Lobpsalmen, Dankpsalmen, Zionspsalmen, Königspsalmen, Weisheitspsalmen/Lehrgedichte, Wallfahrtslieder und Bußpsalmen.

Die Erzählung aus dem Buch 2 Chr. 5, 12-14 gibt einen Hinweis, dass die Psalmen in der Liturgie eine Rolle spielten.

Die Psalmen als poetische Texte

Das wichtigste poetische Stilmittel der hebräischen Sprache ist der Parallelismus, ein wiederholender Stil, den man auch in Verbindung mit dem Kreisdenken des Hebräers sehen muss. Die verschieden Arten werden wie folgt unterschieden: Synonymer P., Antithetischer P., Synthetischer (komplementärer) P., Parabolischer P. (Bildhälfte und Sachhälfte), Stufenartiger (klimaktischer, tautologischer, repetierender) Parallelismus. Mit dieser Art werden Gedanken und Inhalte in besonderer Weise zum Ausdruck gebracht. In der Übersetzung gehen diese Stilmittel weitgehend verloren.

Die Psalmen in den Schriften des Neuen Testamentes

Ungefähr ein Drittel aller alttestamentlichen Zitate in den Schriften des Neuen Testamentes stammen aus den Psalmen: Das NT hat 196 Bezüge zu den Psalmen; am zweithäufigsten wird das Buch des Propheten Jesaja zitiert (186 Bezüge). In Qumran wurden einige Schriftrollen gefunden, deren Textfragmente des Psalters den Hauptteil aus (31 Rollen), gefolgt von Deuteronomium (25 Rollen) und Jesaja (18 Rollen).

Auch im NT sind die Psalmen von Beginn an Bestandteil der Liturgie. Jesus singt mit seinen Jüngern beim Letzten Abendmahl das Hallel (Ps 113-118), vgl. Mt 26, 30: Nach dem Lobgesang gingen sie zum Ölberg hinaus. Unter anderem sind die Psalmen fester Bestandteil des urchristlichen Gottesdienstes: (1 Kor. 14, 26), (Eph. 5, 19), (Kol 3, 16).

Die Psalmen als Gebet der Kirche

Die Psalmen als Stimme Christi: Augustinus sagte: Die Psalmen sprechen in dreifacher Hinsicht von Christus:
• in Bezug auf seine Menschwerdung
• in Hinsicht auf seine Gleichgewichtigkeit mit dem Vater
• von den Gliedern der Kirche, dem Leib Christi (vgl. 1 Kor. 12)

Dazu das Zitat: Christus betet für uns als unser Priester, er betet in uns, seinem Leib, als unser Haupt, und er wird von uns angebetet als unser Gott. (…) Wir beten also zu ihm, durch ihn und in ihm. Wir sprechen mit ihm und er mit uns.
Augustinus, en. PS. 85

In den Psalmen wird uns täglich der Spiegel unserer Seele vor Augen geführt und dadurch die Gemütslage, in der wir uns gerade befinden, bewusst. Persönlich finde ich immer wieder faszinierend, das die Psalmen dem Psalmenbeter niemals „eintönig oder ab gespult“ vorkommen, weil wiederum der Beter durch die unterschiedlichen Psalmen, trotz der immerwährenden Wiederholungen, in verschiedene Stimmungen versetzt wird.

Dazu noch ein Zitat: Durch das Meditieren der Psalmen kommt der Mensch zu innerer Ruhe, sein Zorn wird besänftigt, seine Besonderheit gefördert, seine Vergebungsbereitschaft erhöht, seine Freundschaft zu Gott gestärkt; er lernt Langmut, Menschenliebe, Güte, Tapferkeit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.

Basilius von Caesarea, Psalmenhomilie 1, 1

Die Psalmen als gesungenes Gebet

Einer der bekanntesten Zitate der Kirchenväter ist wohl in Bezug zum Psalmengesang, die Aussage des Augustinus v. Hippo:

Wer singt, betet doppelt.

Auch der Heilige Benedikt verstand die Haltung beim Psalmengebet bzw. Gottesdienst:

Stehen wir also beim Psalmensingen so, dass unser mens (Verstand, Denken, Verstehen) mit unsrer vox (Stimme) übereinstimmt (concordet).

Benediktsregel 19,7 (Die Haltung beim Gottesdienst)

Nach dem Grundwissen der Psalmen wagten wir uns an die Exegese und betrachteten ausgewählte Psalmen, von denen die zur Auswahl standen.
In den beiden Eröffnungspsalmen des Psalters fiel uns unter anderem auf, der Satz: Und alles was er tut, gelingt. Die Kirchenväter bezogen diesen Satz auf Jesus Christus. Der Mensch kann nicht vollkommen sein (Psalm 1).

Der Psalm 2 möchte die Glaubenden zu Gott bekehren. Die Aussage: Du wirst sie mit einem eisernen Stab weiden, wie das Gefäß eines Töpfers sie zerschmettern. Der Vers zieht sich von der Bedeutung durch die Heilige Schrift (Führt der Erziehung zu Gott hin und Neuschaffung durch Formung).

Zum Abschluss betrachteten wir noch wie viel Weihnachten in einem gregorianischen Choral der Osterliturgie stecken kann. Wir nahmen zum Vergleich das AD MISSAM IN NOCTE aus dem Graduale Romanum und dem Psalm 2 aus dem Stuttgarter Psalter.

Wir bedankten uns bei Sr. Dr. Justina C. Metzdorf OSB für die hervorragende Vorbereitung und Durchführung des Moduls. Am Freitagvormittag fuhren wir wieder wohlbehalten in unsere Klöster zurück und sind schon gespannt auf das nächste Modul in Mariendonk.